Die bittere Wahrheit

Die bittere Wahrheit lautet: Wir wollen Ihnen nichts Böses. Sie mögen nun enttäuscht sein, da Sie sich so gerne mit uns streiten, weil es so einfach und so schön ist, sich mit uns zu streiten. Sie drohen uns gerne damit, unseren Laden NIE WIEDER zu betreten, kommen aber früher oder später doch wieder angedackelt.

Vielleicht werden Sie zu Hause oder auf Ihrer Arbeit untergebuttert, und dann nutzen Sie es gerne aus, das die Kassiererin nett bleiben muss, egal wie pampig Sie ihr kommen? Vielleicht sind Sie auch grundsätzlich ein Fan davon, die eigenen Vorstellungen, Rechte als Kunde, oder Wünsche durchzuboxen, ohne sich je in die Person, die ihnen gegenüber steht hineinversetzt und ihre Position analysiert zu haben, weil Sie sich dann einen darauf runterholen können, wie toll Sie sind, dass Sie es Mal wieder geschafft haben.

Sie gehen direkt auf Konfrontation. Bei jedem ihrer Freunde, Arbeitskollegen oder Familienmitglieder sind Sie zu Empathie in der Lage. Wenn Sie aber vor einem Verkäufer stehen, löst sich diese Fähigkeit in Luft auf.

Mir fällt spontan die Geschichte von dem Mann ein, der sich einen Hammer bei seinem Nachbarn leihen will. Der Vergleich hinkt zwar, das ist aber egal. Die Geschichte ist einfach kennenswert:

„Ein Mann will ein Bild aufhängen. Den Nagel hat er, nicht aber den Hammer. Der Nachbar hat einen. Also beschließt unser Mann, hinüberzugehen und ihn auszuborgen. Doch da kommt ihm ein Zweifel: Was, wenn der Nachbar mir den Hammer nicht leihen will? Gestern schon grüßte er mich nur so flüchtig. Vielleicht war er in Eile. Vielleicht hat er die Eile nur vorgeschützt, und er hat was gegen mich. Und was? Ich habe ihm nichts getan; der bildet sich da etwas ein. Wenn jemand von mir ein Werkzeug borgen wollte, ich gäbe es ihm sofort. Und warum er nicht? Wie kann man einem Mitmenschen einen so einfachen Gefallen abschlagen? Leute wie dieser Kerl vergiften einem das Leben. Und dann bildet er sich noch ein, ich sei auf ihn angewiesen. Bloß weil er einen Hammer hat. Jetzt reicht´s mir wirklich. – Und so stürmt er hinüber, läutet, der Nachbar öffnet, doch bevor er „Guten Tag“ sagen kann, schreit ihn unser Mann an: „Behalten Sie Ihren Hammer“.“

(aus P. Watzlawick: Anleitung zum unglücklich sein.)

Wissen Sie, was wirklich frustrierend ist?
Wenn ein Stammkunde, zu dem man immer nett war, von dem man glaubte, er sehe einen als Mensch, nicht als „die Kassiererin“ – wenn so ein Stammkunde plötzlich Artikel 1 der Kassenleitlinien vergisst. Man sieht sich mehrmals in der Woche. Man „kennt“ sich. Und dann passt dem Stammkunden eines Tages irgendetwas nicht. Es ist meistens etwas völlig banales, für das man nichts kann, und das auch in keiner Weise durch uns oder den Konzern verschuldet ist. Dann wird man auf einmal von einem solchen Stammkunden angepflaumt. Das nimmt man dann persönlich. Das macht einen richtig sauer.

Ich habe während meiner gesamten Zeit im Discounter etliche Male Respektbekundungen gehört. Ich wurde etliche Male bewundert und gelobt. Denn ich mache diese durchaus stressige Arbeit gut und ich bin immer bemüht, Sie freundlich und mit Respekt zu behandeln. Wenn dann aber von dem, was man zurück bekommt, ein Haufen plärrender Scheiße überwiegt, kann das frustrieren.

Ich war schon einmal bei einer Kundin essen. Sie hat mich einfach eingeladen. Ich bekomme zu Weihnachten eine Flasche Sekt von einem Stammkunden. Man will mir manchmal Geld schenken, das ich natürlich nicht annehme. Jede Kassiererin hat ihre Lieblingskunden. Und andersherum hat jeder Kunde seine Lieblingskassiererin.
Auch wenn es in meinen bisherigen Ausführungen nicht so scheint: Wir haben eine Menge netter Stammkunden. Manche halten sich nicht immer an die Kassenleitlinien, aber da sie immer nett, höflich und respektvoll mit uns umgehen, sehen wir ihnen das nach.

Ich liebe meinen Drecksjob. Machen Sie ihn mir aber bitte nicht so schwer. Wir würden uns freuen, wenn Sie, geehrter Kunde, nicht direkt auf Konfrontationskurs gehen würden. Man kann über alles in normalem Ton miteinander sprechen.

Sollten Sie das Pech haben, es mit einer pampigen Kuh als Kassiererin zu tun zu haben, dann tut es mir leid. Versuchen Sie trotzdem, sie nicht anzukacken. Es geht Ihnen wesentlich besser, wenn Sie da drüber stehen. Beschweren Sie sich bei der Marktleitung (Der Ton macht die Musik). Aber nur nach einer sorgfältigen Analyse des Vorfalls, die Sie zu der Erkenntnis bringt, dass die Kassiererin völlig unberechtigt pampig war, und Sie eine eventuelle Schuld Ihrerseits ausschließen können.