Das Dilemma
Da sitzt sie, die arme Frau, schiebt vierzig Artikel pro Minute über den Scanner und sagt im Idealfall freundlich: „Guten Tag, 5,89 Bitte, Danke, Schönen Tach noch!“. Wenn sie Glück hat macht sie fünfzehn Minuten Pause am Stück. Es sei denn, sie wird an die Kasse geklingelt, weil die Kunden es nicht länger als eine Minute in der Schlange aushalten.
Schauen Sie mal auf die Uhr, wenn Sie an der Kasse stehen. Es sind ein paar wenige popelige Minuten- wenn es hoch kommt. Und trotzdem werden Sie nervös, wenn noch fünf Kunden vor Ihnen an der Reihe sind. Wie konnte es soweit kommen? Wie kann es sein, dass sich in Frankreich oder Brasilien keiner beschwert, dass man nicht innerhalb von drei Minuten ein Stück Käse erwerben kann: Raus aus der Tür, rein in den Discounter. Käse geschnappt, zur Kasse getrabt. Dreißig Sekunden angestanden, bezahlt- und fertig.
Versuchen Sie das mal in einem anderen Land. Es wird wahrscheinlich nicht funktionieren, denn ausnahmslos alle ausländischen Touristen die zu uns in den Laden kommen sind restlos überfordert mit unserer „Up Tempo“-Kassierpraxis. Eine brasilianische Stammkundin sagte mir einmal, dass man in Deutschland nicht überlebt, wenn man nicht neurotisch ist. Leiden wir alle an einer Neurose? Der Einkauf ist ein notwendiges Übel, dass schnell erledigt sein will. Wir wollen doch unsere wertvolle Freizeit nicht im Supermarkt vergeuden. Wir sind getriebene Opfer der Zeit.
Und wer hat die Arschkarte? Wir alle. Denn die Unruhe des getrieben seins kann nicht gesund sein. Ich möchte mir jedoch nicht anmaßen, mich über eine Volkskrankheit wie „Zeitdruck“ auszulassen. Das möge Experten vorbehalten bleiben. Ich möchte hier lediglich die Sicht auf den Kunden aus meiner persönlichen Perspektive darstellen. Ich weiß nämlich, dass die meisten Kunden nicht recht wissen, was sie dürfen, und was nicht. Sie wissen gar nicht, was man sich in nur fünf Jahren Berufsausübung schon alles hat anhören müssen, und das ihr Dreckskommentar nur noch ein weiteres Tüpfelchen auf dem i ist, dass längst kein i mehr darstellt, sondern ein einziges verficktes Mutanten-Trema.
Sie verstehen einiges nicht. Und sie regen sich über so manches auf, weil es so einfach ist, sich aufzuregen. Sie wollen schnell durch die Kasse durch, sich selbst aber beim Bezahlen stundenlang Zeit lassen. Sie wollen, dass man ihnen alles erklären kann, weil man ja schließlich in dem Laden arbeitet, und alles wissen muss. Sie wollen partout nicht akzeptieren, dass man unter ihre Tasche oder in den den Eierkarton guckt.
Hachja, das Dilemma ist folgendes: Der Kunde will König bleiben, aber die Verkäufer werden mit so vielen Aufgaben zugeschmissen, dass kaum Zeit bleibt, um den roten Teppich auszurollen. Ständig kommen neue Aufgaben hinzu. Mit zu wenig Personal sind sie kaum zu bewältigen.
Die Kassiererin steht unter enornem Druck. Sie soll am besten überhaupt nicht nach einer zweiten Kasse klingeln, geschweige denn, nach dem Stornoschlüssel, damit man auch ja alle Arbeiten im Laden erledigen kann. Sie möchte die Kollegin ungern aus der Pause klingeln. Sie selbst hat womöglich auch noch keine Pause gemacht. Die Kunden aber wollen nicht in der Schlange stehen. Also muss die Kassiererin die Kunden durch die Kasse jagen. Die Kunden wiederum beschweren sich dann, das man zu schnell kassiert. Es ist ein Teufelskreis.
Wir sind schon beim Thema für das Grundlagenseminar.
Irgendwie sind die Geschichten verständlich, aber humorvoll (und vllt. etwas Objektiv :D) rüber gebracht. Dankeschön, das liest sich sehr gut. 😉