Ich muss jetzt mal sentimental
Ich saß einmal bei einem Kumpel und erzählte ihm, dass ich mir manchmal vorkäme wie eine Drogendealerin. Ich verticke Alkohol an Abhängige. Die Dichte an Alkoholikern ist bei uns wirklich enorm. Man kann den Leuten oft beim sozialen Abstieg zusehen. Das geht über Monate oder Jahre. Es fängt mit einem aufgedunsenen Gesicht an, geht über die Vernachlässigung der Körperhygiene und der Kleidung, motorische Fehlleistungen, bis dahin, dass sie irgendwann überhaupt nicht mehr auftauchen. Als Ausgleich sieht man putzige Kinder zu Jugendlichen, oder Babys zu Kleinkindern werden. Ich erzählte meinem Kumpel von den Leuten, denen man noch nicht ansieht, dass sie abhängig sind. Sie kommen quasi in zivil. Gut gekleidet mit Frisur und Make-up. Da meinte er, dass man als Kassiererin womöglich die Einzige ist, die von ihrem tatsächlichen Konsum weiß. Das war mir bis dahin gar nicht in den Sinn gekommen. Es wäre durchaus möglich.
Da ist der Typ der bei einer Versicherung arbeitet. Er hat manchmal sein Namensschild am Pullover hängen. Er kauft immer zwei Bier in PET-Flaschen. Das macht er zwei bis dreimal am Tag. Neulich war es bereits eine Miniflasche Korn. Er hat das Geld immer auf den Cent genau in der Hand. Wahrscheinlich will er so schnell wie möglich von der Kasse weg mit seinem Alk.
Dann gibt es da noch die kleine, eigentlich top-gestylte blonde Frau, die pro Tag mindestens zwei Flaschen Weißwein kauft. Ihr Augen-Make-Up wird stetig weniger präzise.
Da gibt es die Handvoll Frauen und auch Männer, die gerne zwei, drei, fünf Piccolöchen am Tag holen. Bei den Frauen passsen die Dinger wohl ganz unauffällig in die Handtasche. Bei den Männern könnte es eine Tarnung sein. Welcher Mann trinkt schon Sekt aus kleinen Flaschen. Ich möchte die Liste hier nicht fortführen.
Zu den heimlichen Alkoholikern schreibe ich zu einem anderen Zeitpunkt vielleicht noch mehr. Erst einmal aber zu denjenigen, die ganz unten an der Leiter sitzen, und vermutlich immer da sitzen bleiben werden, bis sie sich hinlegen.
Hier ein Beispiel für die unaufhaltsame Talfahrt einer Kundin:
Das fette Mädchen ist Alkoholikerin, und ich nenne sie nur deshalb fettes Mädchen, weil eine ehemaliger Kollege mir etwas von ihr erzählte und sie in seinem Vortrag „das fette Mädchen“ nannte. Ich mag das fette Mädchen. Sie hat allerdings irgendwann einmal die falsche Abzweigung genommen.
Sie hat dunkle lockige Haare und ein hübsches rundliches Gesicht mit freundlichen braunen Augen. Anfangs war sie normalgewichtig. Dann nahm sie plötzlich zu, und wurde für meinen Kollegen das fette Mädchen. Sie hat mit Sicherheit das ein oder andere Mal eine Flasche Korn bei uns geklaut. Denn so sehr sich die meisten Alkoholiker und Junkies auch darum bemühen, den Alkohol zu bezahlen- irgendwann kommt der Moment, in dem eben kein Geld da ist, aber der Durst bleibt.
Das fette Mädchen kam dann für einige Zeit nicht mehr in den Laden. Ich machte mir Sorgen, wie ich mir um alle unsere abhängigen Pappenheimer Sorgen mache, wenn sie plötzlich nicht mehr auftauchen. Ich frage mich dann, ob sie in einer anderen Stadt sind oder im Knast. Vielleicht haben sie sich den letzten Schuss gesetzt, oder sind auf der Straße erfroren. Keine Ahnung. Es gibt ja auch Keinen, der einem mal Bescheid sagen würde.
Nun denn. Das fette Mädchen tauchte nach einiger Zeit wieder auf, und zwar um die Hälfte ihrer Kilos weniger. Ich sah sie vorwurfsvoll an, woraufhin sie sagte. „Ja, ich hab krass abgenommen, ne.“. Sie war in Begleitung irgendeines Typen, der genauso drupp war wie sie. Sie bestätigte mir, dass sie nun drücken würde. Ich bat sie, zu versuchen, das mal schnell wieder zu lassen. Ich weiß, dass meine Bitte sie nicht dazu bringen würde, aufzuhören, aber wir kennen uns nunmal seit fast fünf Jahren. Da kann man nicht einfach kommentarlos weitermachen. Ich sah das, nun dünne, fette Mädchen wieder ein paar Monate nicht.
Eines Tages stand sie aber wieder an der Kasse. Sie sah wesentlich besser aus und hatte ein paar paar Kilos mehr. An ihrer Seite stand ein kleines Mädchen. Als ich sie zufrieden anlächelte, ob dem was ich sah, sagte sie stolz: „Ja, ich bin weg von dem Zeug! Meine Tochter ist jetzt wieder bei mir! Ich häng auch nicht mehr hier rum.“. Ich machte mir meinen Reim darauf und teilte ihr mit, dass es mich wirklich freuen würde, sie clean zu sehen.
Und dann: wieder einige Zeit kein fettes Mädchen. Neulich kam sie wieder in den Laden, zusammen mit einem mir bekannten obdachlosen Kerl. Sie kauften Bier. Jeder eins. Ein schuldbewusster Blick und: „Ja ich weiß…Aber ich trink kein hartes Zeug mehr. Nur Bier und so.“.
Oh Mann. Liebes fettes Mädchen, ich wünsche Dir, dass es Dir eines Tages gelingt ein halbwegs geordnetes Leben zu führen. Ich habe kaum Hoffnung, aber das kleine bisschen gebe ich nicht auf.
Ich würde diese Seite gerne öfters besuchen, aber im Moment mache ich auf dem Absatz kehrt. Eigentlich den Absätzen. Also ganz eigentlich auf den fehlenden Absätzen, die mir das Lesen erschweren.
Diese Textklötze in Plattenbauweise kann man doch sicherlich optisch etwas auflockern.
Danke für den Hinweis! Ich werde ihn beherzigen und etwas ummodeln! Ich bin ganz neu dabei und kann solche Hinweise sehr gut gebrauchen!
Danke. 🙂